14. Juni 1972 - Ein Feiertag für den
Mülheimer Fußball

In Brüssel kämpft die Bundesrepublik um den Einzug ins Endspiel um den Europapokal der Nationalmannschaften. Sie gewinnt 2:1 und schafft die Basis für den späteren 3:0 Triumph im Finale gegen die UdSSR.

Lokale Sportereignisse verblassen gegen die Attraktivität internationaler Begegnungen. Was ist schon ein Aufstiegsspiel der Regionalliga West gegen das Millionen faszinierende Spektakel in der belgischen Hauptstadt?

Dennoch, auch Mülheim an der Ruhr hat an diesem 14. Juni seinen Fußball-Feiertag. Im Ruhrstadion soll sich entscheiden, ob die "sympathische Stadt" nach langer Zeit der Stagnation und Fußball-Einerlei einen Regionalligisten bekommt. Der 1.FC Mülheim-Styrum hat die große Chance, am vorletzten Spieltag der Aufstiegsrunde dem Amateurfußball Ade zu sagen. Der Gegner heißt STV Horst- Emscher, vor Beginn der Qualifikationsspiele mit Vorschußlorbeeren überhäuft, nach fünf Spieltagen aber bereits abgeschlagen.

Die "Emscher Husaren", die Gelsenkirchener Lokalberichten zufolge "schneidige Attacken" reiten sollten, kamen nicht über die Rolle eines schwachen Spähtrupps hinaus, der bei der ersten Feindberührung scheiterte.

Rückblende, am 29. Mai 1972: Kühler, regnerischer Sonntag. Erster Spieltag der Aufstiegsrunde: Außenseiter Styrum stoppt im Gelsenkirchener Fürstenbergstadion den 10:1 Favoriten Horst.

"Ala, laß die Löwen los!" sangen Mülheims Schlachtenbummler, als der 1:0 Sieg
nach einem Tor von Kraus in der 45. Minute feststand. 5000 enttäuschte Gelsenkirchener Fans erkannten den verdienten Erfolg der taktisch klug spielenden Styrumer an.

Nur ein Mann flüchtete sich in billige Ausreden, die ihm den Ruf eines schlechten Verlierers einbrachten. Friedel Elting, Trainer des STV Horst, in seiner aktiven Zeit ein exzellenter Auswahlspieler des niederrheinischen Fußballverbandes, aus unerfindlichen Gründen "Tito" genannt, qualifizierte das Styrumer Spiel als "antiquierten Altherrenfußball" ab, der - so Elting - im weiteren Verlauf der Aufstiegsrunde keine Chance mehr besitze. Keine Chance gegen seinen STV Horst, gegen Siegens Sportfreunde und den Bonner Sportclub.

"Tito" Elting war ein schlechter Prophet. Nicht der 1.FC Mülheim-Styrum, seine Horster gerieten ins Schleudern, verloren Spieler durch Platzverweise und kamen nun am vorletzten Spieltag für keinen der beiden ersten Plätze, die den Aufstieg bedeuteten, mehr in Frage.

Der STV Horst kam am 14. Juni nicht mit Blumen im Gepäck, um dem möglichen Regionalligisten 1.FC Mülheim-Styrum zu gratulieren. Die verständliche Enttäuschung, schon früh an eigener Überheblichkeit und Fehleinschätzung gescheitert zu sein, saß tief.

Die Mannschaft kämpfte erbittert, zeitweise sogar brutal. Sie wollte sich und ihren großsprecherischen Trainer rehabilitieren.

Trotz der frühen Fernsehübertragung des Spiels Belgien - Bundesrepublik Deutschland aus Brüssel kamen 6000 Zuschauer ins Ruhrstadion, die zwischen Hoffen und Bangen einen Fußballkrimi erster Güte erlebten, der für den 1.FC Mülheim-Styrum in einem triumphalen Happy-End abschloss. 3:1 gewann der FC, und noch heute werden sich Aktive und Besucher, des spannenden Spielfilms und der vier Tore erinnern.

  • 08. Minute: indirekter Freistoß für Styrum. Kraus "schnibbelt" den Ball à la Netzer von der halblinken Strafraumgrenze ins entfernte Eck - 1:0
  • 50. Minute: Zinkann legt den gefährlichsten Stürmer, den dynamischen Tänzer. Bader schießt den Foulelfmeter - 1:1
  • 63. Minute: Alleingang von Rosorius, Foulspiel im Horster Strafraum. Den Elfmeter schießt Bachmann, nicht platziert, aber ungemein hart, er trifft den Torwart, doch der Ball hat Effet und Wucht, rutscht ins Netz - 2:1
  • 89. Minute: Horst wirft die gesamte Mannschaft nach vorn, will den Ausgleich. Aufregende Szenen im Styrumer Strafraum und vor Torwart Mackscheidt. Der Horster Ausgleich liegt in der Luft. - Das ist die große Chance des kurz zuvor eingewechselten Vogel. Er übernimmt in der Mitte des Spielfeldes, in der Nähe des Anstoßkreises ein Zuspiel, rennt in die Hälfte des Gegners, umspielt den Horster Vorstopper Kracht, umspielt auch Torwart Mattner - und schlenzt den Ball ins leere Tor - 3:1
Geschafft! Mülheim ist nicht mehr Fußballprovinz. Der 1.FC Mülheim-Styrum spielt in der Saison 1972/73 in der westdeutschen Regionalliga.

Der Rest war nur noch Freudengeschrei! Trainer Albert Becker auf dem Platz, dahinter Co-Trainer Karl Mozin, schon vorher für die kommende Saison verpflichtet, und die Auswechselspieler im Pulk ihrer Kameraden.
Noch können die Fans es gar nicht fassen. Der 1.FC Mülheim-Styrum, die "graue Maus" der Aufstiegsrunde, bemitleideter Außenseiter, steht in der zweithöchsten deutschen Spielklasse - in einer Gruppe mit Borussia Dortmund, Fortuna Köln, ETB Schwarz-Weiß Essen, Alemannia Aachen ...

Die Fans feiern vor der Kabine und rufen: "Bravo Becker!" Ein Traum ist in Erfüllung gegangen. Innerhalb von drei Jahren schaffte ein Spielerkreis, der außerhalb Mülheims kaum bekannt war, im Nonstoplauf den Aufstieg von der Amateur-Landesliga in die Regionalliga.

Und in der Kabine? Die Spieler schämten sich ihrer Tränen nicht, denn Minuten nach dem Abpfiff des Kölner Schiedsrichters Pesch war das Ergebnis des Parallelspiels bekannt geworden. Westfalenmeister Sportfreunde Siegen hatte im Siegener Leimbachstadion den Mittelrheinmeister Bonner SC mit 4:0 geschlagen, wodurch der letzte Spieltag der Regionalliga- Aufstiegsrunde nur noch statistischen Wert erhielt.

Die Qualifikation war gelaufen: 1. Sportfreunde Siegen, 2. 1.FC Mülheim-Styrum.
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